Schwindelerkrankungen können vielfältige Ursachen haben. Am häufigsten sind diese peripher-vestibulär (vom Gleichgewichtsorgan ausgehend) oder zentral-vestibulär (vom Gehirn ausgehend). Auch kardiovaskuläre Erkrankungen, bestimmte Medikamente, Vergiftungen und Verletzungen können Schwindel auslösen. Schwindelerkrankungen sind weit verbreitet, etwa jede dritte Person erlebt im Laufe des Lebens mittelschweren bis starken Schwindel. (1)
Unser Ziel in der physiotherapeutischen Behandlung von Schwindel und der damit einhergehenden Störung des Gleichgewichts ist eine personalisierte Therapie, die durch eine gründliche Diagnostik auf individuelle Ziele und die spezifische Schwindelerkrankung zugeschnitten ist.
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)
Der BPLS ist durch plötzliche, intensive Schwindelanfälle gekennzeichnet, die durch bestimmte Kopfbewegungen ausgelöst werden (z.B. beim Hinlegen, Bücken, Umdrehen im Bett). Der Schwindel entsteht durch das Ablösen von kleinen Kristallen im Innenohr, sogenannten Otolithen. Diese Kristalle gelangen in die Bogengänge des Gleichgewichtsorgans und lösen beim Bewegen des Kopfes plötzliche Schwindelattacken aus, meist in Kombination mit Übelkeit und Erbrechen. Der BPLS kann posttraumatisch oder als Folge einer Neuritis vestibularis (s.u.) auftreten. In den meisten Fällen ist die Ursache jedoch unklar oder auf das Alter zurückzuführen. Die Behandlung des BPLS erfordert eine genaue Testung zur Bestimmung der Seite und des betroffenen Bogengangs, damit zielgerichtete Befreiungsmanöver durchgeführt werden können. (2)
Bei der NV liegt die Ursache für den Schwindel in einer vermutlich viral bedingten Entzündung des Gleichgewichtsnervs (Nervus vestibularis), der vom Gleichgewichtsorgan zum Gehirn führt (3). Die Aufgabe des Nervs ist es, das Gehirn über Lageveränderungen von Kopf und Körper zu informieren. Aufgrund der fehlenden Information sowie der Imbalance der Signale zwischen beiden Seiten kommt es nicht nur zu Schwindel, sondern auch zu starken Gleichgewichtsproblemen. Häufig kommt es auch zu visuellen Einschränkungen wie verschwommenem Sehen. Die physiotherapeutische Behandlung konzentriert sich auf die Kräftigung aller betroffenen Sinneswahrnehmungen sowie die sensorische Integration des Gleichgewichtsorgans mittels Gleichgewichts- und Gangübungen.
Der Altersschwindel ist nichts anderes als eine (physiologische) Degeneration des peripheren Gleichgewichtssystems. Die Symptome sind neben Schwindel meist Gang- und Standunsicherheiten sowie visuelle Beeinträchtigungen. In der Physiotherapie konzentrieren wir uns darauf, die Gangunsicherheit sowie Gleichgewicht und Kraft durch gezielte Übungen zu verbessern. Das Hauptziel ist es, betroffenen Menschen dabei zu helfen, ihre Mobilität zu erhalten und das Risiko von Stürzen zu reduzieren.
Morbus Menière ist eine Erkrankung des Innenohrs, die durch eine Volumenzunahme der Endolymphflüssigkeit des Innenohrs gekennzeichnet ist. Typische Symptome sind episodischer Schwindel, Hörminderung bis -verlust, Ohrgeräusche (Tinnitus) und ein Druckgefühl im Ohr (4) . Die genaue Ursache ist nicht vollständig verstanden, es wird jedoch angenommen, dass Faktoren wie genetische Veranlagung, Autoimmunerkrankungen, Allergien und Infektionen eine Rolle spielen können. Wiederholte Attacken können langfristig zu einer Unterfunktion des Gleichgewichtsorganes führen. Die ärztliche Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu kontrollieren und den Flüssigkeitsdruck im Innenohr zu regulieren. Dazu können Medikamente und in einigen Fällen chirurgische Eingriffe gehören. Begleitende Physiotherapie trägt zum Erhalt der Gleichgewichtsfunktion bei.
Die Ursache für den Schwindel liegt im Gehirn und tritt in Folge eines Schlaganfalles, eines Gehirntumors, im Zuge der MS-Erkrankung oder anderer neurodegenerativer Erkrankungen auf. Der Grund für den Schwindel ist hierbei eine gestörte zentrale Verarbeitung. Eine Sonderform der zentral-vestibulären Schwindelerkrankungen ist die vestibuläre Migräne.
Migräne ist eine Erkrankung, von der viele Menschen betroffen sind. Tatsächlich gibt es aber sehr viele verschiedene Migräneformen, eine davon ist die VM. Die Migräneattacke äußert sich dabei als eine länger andauernde Schwindelattacke, die entweder mit- oder ohne Kopfschmerzen auftreten kann. Ziel der Physiotherapie bei VM ist u.a. die Reduktion der Migräneattacken (Prophylaxe), die Desensibilisierung und das Training des Gleichgewichtes.
Der funktionelle Schwindel (auch als PPPD = Persistent Postural-Perceptual Dizziness oder phobischer Schwankschwindel bekannt) ist die zweithäufigste Ursache für Schwindel nach BPLS (5). Er entsteht häufig als Folge einer akuten organischen Schwindelerkrankung wie zum Beispiel (nicht behandeltem) BPLS oder Neuritis vestibularis. Es wird angenommen, dass es durch die immer wiederkehrenden Schwindelauslösungen zu einer Übererregbarkeit unseres körpereigenen “Alarmsystems” kommt. Das Schwindelgefühl bleibt, selbst wenn die eigentliche Grunderkrankung nicht mehr besteht.
Die Behandlung des funktionellen Schwindels sollte multidisziplinär, u.a. mit Physio- und Psychotherapeut:innen, erfolgen.